Inklusion
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Prof. Burow Begabtenförderung
Hochbegabte Schülerinnen und Schüler planten, organisierten und führten 2009 den Kongress "Wir machen Schule schlau" durch. Sie dachten aber dabei nicht nur an sich, sondern genauso an die Bedürfnisse aller anderen Schülerinnen und Schüler aller Schulformen. Ziel war die Frage: Wie wird Schule für alle die bestmögliche Schule, für Hochbegabte und alle anderen? Wie werden die überall vorhandenen unterschiedlichsten Begabungen optimal gefördert? Die Hochbegabten kamen zu der Forderung: individuelles Lernen für alle Schüler in einer inklusiven Schule, keine besonderen Schulen für besondere oder eingeschränkte Begabte! Bei dem Kongress erläuterte in seinem Hauptvortrag Prof. Burow in ganzheitlicher hervorragender Weise die in der Wissenschaft vorhandenen Erkenntnisse dazu und gab auch wichtige praktische Hinweise für eine dringend notwendige inklusive Schule für alle, die für alle Begabungen optimal ist! Netzwerk Begabtenförderung Hamburg e.V. · Dokumentation „Wir machen Schule schlau!“ - Kongress 2009, S.28 – 43.
Hauptvortrag:
Olaf-Axel Burow
Begabtenförderung als Impuls für Schulentwicklung
„Ich halte das bisherige System für ungerecht. Das sagt mir aber weniger die Iglu oder Pisa-Studie, das sagt mir vielmehr der gesunde Menschenverstand.“ Wilfried Bos, Leiter des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung
Inhalt: 1. Begabtenförderung: Überraschende Einsichten der empirischen Bildungsforschung 2. Von der Selektion zur Inklusion: Begabtenförderung durch Nutzung von Vielfalt 3. Eine Schule für alle: Sieben Zugänge zu inklusiver Begabtenförderung
Summary:
Anknüpfend an eine pointierte Analyse zentraler Schwächen des gegliederten Schulsystems skizziert der Autor Umrisse einer inklusiven Schule, die eine optimierte Begabtenförderung durch Anerkennung und Nutzung von Vielfalt ermöglicht. Im Praxisteil werden mit dem „Index für Inklusion“, der stärkeren Berücksichtigung „multipler Intelligenzen“, der „Theorie des Kreativen Feldes“, der „Wertschätzenden Schulentwicklung“, der Entwicklung einer begabungsförderlichen Lehr-/Lernkultur durch die Nutzung „innerer Bilder“, der Nutzung der „Weisheit der Vielen“ durch Verfahren der prozessorientierten Zukunftsmoderation sowie der Berücksichtigung von Glück und Salutogenese (Gesundheitsentstehung) sieben Wege zur inklusiven Begabtenförderung vorgestellt.
Begabtenförderung und Resignation
1. Begabtenförderung: Überraschende Einsichten der empirischen Bildungsforschung
Nachdem Hochbegabtenförderung lange Jahre vernachlässigt wurde und unter dem Stigma einseitiger Elitenförderung zu leiden hatte, zeichnet sich seit einiger Zeit ein neuer Trend ab: Im Zusammenhang mit der Herausarbeitung von Schwachpunkten des deutschen Schulsystems aufgrund internationaler Schulleistungsvergleichsstudien setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein Schulsystem, das einseitig auf Selektion durch frühe Trennung nach vermeintlichen Begabungsstufen setzt, ungeeignet ist, die optimale Förderung aller Schüler zu gewährleisten.
Verschiedene Studien haben übereinstimmend gezeigt, dass ein Großteil der Übergangsempfehlungen von Grundschullehrern/innen fehlerhaft sind: So hatte – um ein Beispiel zu geben – noch vor kurzem das Kind einer türkischen Putzfrau in Baden-Württemberg eine 4,7 mal geringere Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, als das deutsche Kind und das bei gleicher Leistung! Noch schlimmer liegen nach Erkenntnissen des renommierten Bildungsforschers Klaus Klemm die Dinge im vermeintlichen Bildungsmusterland Bayern: Hier hatte das Migrantenkind eine 6,3 mal geringere Chance. Dass die deutsche Idee des Sortierens von Schüler/innen nach der vierten Klasse nicht funktioniert zeigt auch eine neue Studie, die die Soziologin Heike Solga vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung vorgenommen hat und deren Kernaussage Spiegel online am 26.8.2009 wie folgt betitelt: „Bildungs-Ungerechtigkeit. Jedes dritte Kind geht auf die falsche Schule.“ Demnach besuchen 17 Prozent einen Schultyp unterhalb ihres Leistungsniveaus (Underachievement in der Sprache der Begabungsforscher), weitere 13 Prozent eine Schule oberhalb ihres Potenzials (Overachievement). Die Schlussfolgerung der Forscher ist eindeutig: das deutsche Schulsystem versagt in der Förderung. Die Lösung: Kinder müssten länger gemeinsam lernen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch aufgrund der anachronistischen deutschen Bildungskleinstaaterei und den damit verbundenen ideologischen Scheuklappen haben es selbst ausgewiesene Bildungsforscher schwer, mit ihren Argumenten durchzudringen. In einem Interview des Spiegel (2009, 20, S.58-59) mit dem Leiter des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung sowie Autors zahlreicher Schulleitungsvergleichsstudien, Wilfried Bos, wurde deutlich, dass in der Frage der geeigneten Schulstruktur für optimale Begabtenförderung statt Fachkenntnis Ideologie regiert. So antwortete Bos auf die Frage, ob es angesichts der vergleichsweise guten Leistungen deutscher Schüler/innen, die sich in den Grundschulstudien gezeigt haben, nicht sinnvoll sei, Schüler/innen länger gemeinsam lernen zu lassen. Bos fasst zusammen: „Trotz guter Iglu-Ergebnisse wissen wir, dass die Hälfte der Kinder in der fünften Klasse nicht selbständig neues Wissen anhand von Texten erarbeiten kann. Ihre Lesekompetenz reicht nicht aus. Wir brauchen für diese Kinder noch echten Lese-Unterricht, und zwar fachübergreifend - vor allem für jene mit Migrationshintergrund und aus unteren sozialen Schichten.“ Da die Studie gute Leistungen der Schüler/innen in der Grundschule belegt, stellt der Interviewer die logische Frage: „Sollten Kinder dann nicht länger gemeinsam lernen?“ Doch statt zuzustimmen gibt Bos zunächst eine Antwort, die das spezialistisch verengte Denken, das für viele empirische Bildungsforscher derzeit typisch ist, sichtbar macht: „Mit dieser Frage habe ich Probleme. Das wäre so, als würde man sagen: Bei Vollmond angepflanzter Mais wächst einen Meter höher. Es ist weder bewiesen noch unbewiesen.“ Ungerührt wiederholt der Interviewer die Frage nach dem Nutzen längeren gemeinsamen Lernens und seine Beharrlichkeit zahlt sich aus. Denn nun weiß Bos: „95 Prozent aller Länder verfahren nach dem 6-3-3-Prinzip: Sechs Jahre Grundschule, drei weitere Jahre gemeinsames Lernen in einer weiterführenden Schule oder Stufe, dann wird für die letzten drei Jahre aufgeteilt in Berufsausbildung und Sekundarstufe zwei.“ Ein klare Aussage gegen das gegliederte Schulsystem sollte man meinen, doch auf die Frage, ob das Vorgehen von 95% aller Länder weltweit gerechter sei, zieht sich Bos zunächst erneut zurück, um dann im zweiten Schritt zu offenbaren, worum es wirklich geht: „Nicht zwingend. Mein Kollege, der Bildungsforscher Helmut Fend, hat ja kürzlich erst nachgewiesen, dass sich in Gesamtschulen die Koppelung von sozioökonomischen Status der Eltern und die Schülerleistungen ebenfalls deutlich abzeichnet. Außerdem haben wir in Deutschland eine ständestaatliche Tradition mit einer Schulform, die ziemlich gut funktioniert und die niemand abschaffen können wird: das Gymnasium.“ Argument 1, die mangelnde Leistung von Gesamtschulen, sticht nicht, denn es ist ein weiteres Argument für den Abschied vom selektierenden deutschen Schulsystems, haben doch Studien nachgewiesen, dass Gesamtschulen unter den Bedingungen eines gegliederten Schulsystems nur eingeschränkt funktionieren – vor allem weil die Abwanderung zum Gymnasium zu einer ungünstigen Schülermischung führt. Der Spiegel lässt denn auch nicht locker und hinterfragt das Argument 2 : „Und weil das Gymnasium sakrosankt ist, wird sich nie grundlegend etwas ändern?“ Auch hier ist die Antwort des Bildungsforschers aufschlussreich, zeigt sie doch exemplarisch die Kapitulation von Teilen der Erziehungswissenschaft vor den Ansprüchen einer Politik, die schließlich die Studien bezahlt: „Jedenfalls nicht am Gymnasium. Alle Eltern, die etwas zu sagen haben, die kampagnenfähig sind, schicken ihre Kinder aufs Gymnasium – die werden den Teufel tun, diese Schulform abzuschaffen. Die Diskussion ist schlicht müßig.“ Hiermit könnten wir die Debatte beenden, doch der Spiegel fragt weiter: „Also resignieren Sie?“ Erst diese Hartnäckigkeit ermöglicht es, das Denkgebäude des fachzentriert argumentierenden Bildungsforschers zu erschüttern und die Erkenntnis zu offenbaren, dass es uns nicht an weiteren Studien fehlt, sondern an der Nutzung unseres Verstandes: „Keineswegs“, antwortet nämlich Bos, „ich halte das bisherige System für ungerecht. Das sagen mir aber weniger die Iglu- oder die Pisa-Studie, das sagt mir vielmehr der gesunde Menschenverstand. Warum tun wir zehnjährigen Kindern den Stress an, sie mindestens ein halbes Jahr lang für den Schulwechsel zu drillen? Und warum lassen wir die Hauptschüler dumm in der Ecke stehen? Nur: Es wird nicht gelingen, das Gymnasium abzuschaffen. Wer das versucht, wird nicht wieder gewählt.“ Halten wir fest: Wenn es um optimale Begabungsförderung geht, benötigen wir – ähnlich wie die erdrückende Mehrzahl der Länder auf dieser Welt – ein Bildungssystem, das statt auf Selektion auf Förderung setzt, denn: „Maurer oder Manager, das zeichnet sich bereits mit dem Ende der Grundschule ab“, sagt Wilfried Bos. In seiner aktuellen Studie hat er festgehalten: Die Wahl ist „eine wichtige Weichenstellung für den weiteren Schul- und Berufsweg, da spätere Korrekturen dieser Entscheidung ausgesprochen selten sind.“
Funktion statt Konvention
Funktion statt Konvention Diese Auflistung von offenkundigen und seit Jahren bestehenden Missständen des deutschen Bildungssystems, die sich leicht verlängern ließe – soll deutlich machen, dass wir ein neues Paradigma der Schulentwicklung brauchen. Und dieses Paradigma lautet: Funktion statt Konvention! Was meine ich damit? Weite Teile der gegenwärtig vorzufindenden Maßnahmen zur Entwicklung unseres Schulsystems kranken daran, dass sie die Konvention der Schule, ihre Grammatik fortzuschreiben suchen. Dabei wird so getan, als lebten wir im Tal der Ahnungslosen und wüssten nicht, wie man eine gute Schule machen kann. In diesem Sinne untersuchen die scheinbar neuen Studien immer wieder die alten Fragen einer Optimierung des bestehenden Systems. Auf diese Weise dreht sich das System im Kreis und es entsteht das, was der Zivilisationskritiker Paul Virilio als „rasenden Stillstand“ bezeichnet. Die Wahrheit ist: Gute Schulen – das zeigt die Geschichte der Pädagogik – entstehen nicht durch Optimierung des Bestehenden, sondern durch einen Abschied von der Konvention. Innovative Schulmodelle, die bis heute überdauern, zeichnet es aus, dass sie mit der Konvention gebrochen und die Funktion der Schule radikal aus der Perspektive der Kinder neu definiert haben: Montessori revolutionierte die Schule durch die vorbereitete Umgebung, Freinet durch die Abschaffung von Schulbüchern und die Einführung der Schuldruckerei zur Erzeugung freier Texte, die Gestaltpädagogik mit ihrem Konzept persönlich bedeutsamen Lernens, Hartmut v. Hentig überwand die Fächertrennung und wies Schritte zur Schule als Lebens- und Erfahrungsraum. Hier zeigt sich: Die Wege zur begabungsförderlichen Schule können und sollten unterschiedlich sein. Nur in kreativer Konkurrenz entsteht Neues.
Von Selektion zur Inklusion2. Von der Selektion zur Inklusion: Begabtenförderung durch Nutzung von Vielfalt Mag sein, dass Bos mit seiner resignativen Schlussfolgerung, das Gymnasium sei in Deutschland nicht abzuschaffen, Recht hat. Doch vielleicht löst sich das Problem auf eine ganz andere, evolutionäre Weise. In manchen Großstädten ist das Gymnasium schon längst zur „Hauptschule geworden, weil die Mehrzahl der Eltern dafür sorgt, dass ihre Kinder dort aufgenommen werden falls sie nicht - wie in Bayern durch eine rigide Zulassungsbarriere mit dem Notenschnitt 2,0 – darin gehindert werden. Auf der anderen Seite wachsen der Druck und auch die Bereitschaft von immer mehr Bundesländern - ungeachtet unterschiedlicher politischer Konstellationen (Hamburg, Berlin, Saarland etc.) -, den Zeitraum des gemeinsamen Lernens auszuweiten. Angetrieben wird diese Entwicklung nicht nur vom Elternwillen, und den hohen Kosten bei zurückgehenden Schülerzahlen aufgrund des demographischen Wandels, sondern auch durch die veränderten Anforderungen der sich entwickelnden globalisierten Wissensgesellschaft. Nicht jeder wird so weit gehen wie der Kulturgeograph Richard Florida, der in seinem Buch „The Rising of the Creative Class“ (2002) behauptet, dass eine neue Klasse auftaucht, die schon bald die Gesellschaft beherrschen wird: In den USA seien bereits bis zu einem Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung mit der Herstellung und Nutzung von Neuem befasst. Die „Kreative Klasse“ bevorzuge Regionen, die sich durch die Faktoren Technologie, Talent und Toleranz auszeichnen. Eine neue Studie (Jansen 2009) zeigt nun, dass Deutschland aufgrund seines Bildungssystems in den Bereichen Talent- und Toleranzförderung im internationalen Vergleich einen der hinteren Plätze einnimmt, was neben anderem auch dazu führt, dass wir seit 2001 eine negative Abwanderungsbilanz von „Kreativen“ und „High Potentials“ haben. Auch was die Zahl der Studienanfänger betrifft, die bei 36% liegt und lediglich in eine Absolventenquote von 21% mündet, liegt Deutschland weit hinten. Im OECD Durchschnitt schließen derzeit 37% ihr Studium erfolgreich ab. Geradezu anachronistisch wirkt da das deutsche Bildungsmusterland Bayern, das mit einer Absolventenzahl von nur 20% Abiturienten international gesehen um den Spitzenplatz als Schlusslicht zu kämpfen scheint. Umfassende Begabungsförderung für alle tut also Not, nicht nur um die Grundlagen unseres Wohlstandes zu sichern, sondern auch, um das grundgesetzlich verankerte Bürgerrecht auf Bildung durchzusetzen – das Ralf Dahrendorf schon in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts eingefordert hatte. Wurde in der Industriegesellschaft alten Typs Wohlstand vor allem durch die intensive Nutzung von Material und dessen Verarbeitung in uniformer Massenproduktion erzielt, so stellt die globalisierte Wissensgesellschaft völlig neue Anforderungen: Die Anwendung von Wissen und dessen Übersetzung in individualisierte Produkte wird zum Schlüssel. Statt für alle zur gleichen Zeit das Gleiche, geht es jetzt darum für jeden das zu bieten, was seinen spezifischen Bedürfnissen und Begabungen entspricht. Dieser Paradigmenwechsel von der Massenproduktion zur individualisierten, wissensbasierten Produktion setzt auch ein neues Bildungsverständnis voraus. Wie Lehner & Widmaier schon 1992 gezeigt haben, folgt die traditionelle Schule in ihrer Form als selektierende Unterrichts- und Belehrungsanstalt dem Paradigma der Fließbandproduktion: Die Schüler/innen werden nach Alterskohorten sortiert, nach einem standardisierten Lehrprogramm im 45-Minutentakt unterrichtet, rücken jahrgangsmäßig vor, wobei der „Ausschuss“ aussortiert wird. Wem diese zugespitzte Darstellung überzogen scheint, weil sie den gewandelten Alltag vieler Reformschulen nicht trifft, dem ist entgegenzuhalten, dass ein zu großer Teil öffentlicher deutscher Schulen noch immer nach diesem Modell funktioniert. So hat, um ein weiteres Beispiel zu geben, Klaus Klemm gerade erst (2009) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung gezeigt, dass pro Jahr immer noch ca. 250 000 Schüler/innen eine Klassenstufe wiederholen müssen, was dazu führt, dass ca. 23% aller Schüler das Wiederholerschicksal teilen und dies – obwohl durch eine Vielzahl von Studien schon seit 1974 immer wieder belegt wird, dass diese Maßnahme nicht nur die Schüler nicht fördert, sondern schädigt, indem sie ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beeinträchtigt. Nimmt man noch die zurückgestellten Schüler/innen hinzu, dann sind ca. ein Drittel aller 15-jährigen Jungen überaltert und durch das Selektionssystem behindert. Die pädagogisch wirkungs- und sinnlose Maßnahme des Sitzenbleibens kostet den Staat laut Klemm eine Milliarde Euro – pro Jahr! Diese Summe könnte man im Falle ihrer Abschaffung sofort in ein breitenwirksames Programm der individuellen Förderung investieren – ohne dass es den Staat eine Cent mehr kosten würde. Doch deutsche Bildungspolitiker beharren auch hier auf ihrem negativen Spitzenplatz – in keinem Land der Welt gibt es solche Wiederholerquoten. Inklusion
Inklusion
Doch dieses Neue unterliegt nicht der Beliebigkeit, denn bei aller Verschiedenheit zeichnet sich eine verbindende Gemeinsamkeit ab, die sich in einem Leitbegriff fassen lässt: Inklusion. Die inklusive Pädagogik ist ein neuer Ansatz der Pädagogik, dessen wesentliches Prinzip die Wertschätzung der Diversität in der Bildung und Erziehung ist. Befürworter der Inklusion (Schenz 2009) gehen von der Tatsache aus, dass die Heterogenität die Normalität darstellt. Sie plädieren für die Schaffung einer Schule, die die Bildungs- und Erziehungsbedürfnisse aller Schüler zu befriedigen hat. Der Begriff der Inklusion entstand am Anfang der 90er Jahre, wobei die Internationale Konferenz der UNESCO, die 1990 in Thailand stattfand, einen sehr wichtigen Moment darstellte. Im Rahmen dieser Konferenz, die unter dem Motto „Bildung für alle“ stattfand, wurde erstmalig das englische Wort „inclusion“ statt „integration“ benutzt. Worin besteht der Unterschied? Die Integrationspädagogik zielt darauf ab, Schüler mit besonderem Förderbedarf in die Regelschule zu reintegrieren. Sie unterscheidet damit zwischen zwei Typen von Schülern: Den „normalen“ und den zu integrierenden Sonderschülern.
Dagegen macht die Inklusionspädagogik diesen Unterschied nicht, sondern betrachtet alle Schüler/innen als „Sonderschüler“, in dem Sinne, dass jeder Schüler einer besonderen Förderung bedarf.
Wenn das so ist und die Mehrzahl wissenschaftlicher Untersuchungen weist in diese Richtung, dann benötigen wir eine Schule für alle Kinder. Dies setzt allerdings die Entwicklung einer neuen Form von Schule voraus, die radikal mit den Konventionen bricht: Nicht die Schüler haben sich an den jeweiligen Schultyp anzupassen, sondern die Schule muss so gestaltet sein, dass sie der Vielfalt der Begabungen gerecht wird. Das, was laut PISA-Forscher Baumert, das Hauptproblem der deutschen Schule ist, nämlich die mangelnde Fähigkeit, mit der Verschiedenheit der Kinder umzugehen, weist aus Sicht der Inklusionspädagogik einen vielversprechenden Weg für eine neue Schulpädagogik, die von der Begabtenförderung vorangetrieben wird und auf die inklusive Nutzung von Vielfalt setzt. An die Stelle von Selektion und Ausgrenzung tritt hier die Forderung, jeden einzubeziehen und die Barrieren für Lernen abzubauen. Ohne Zweifel ist dies eine äußerst anspruchsvolle Herausforderung für neue Wege der Schulentwicklung. Die Frage ist, wie dies gehen kann.
Wenn also Bildungspolitik den Begriff "Inklusion" in der Öffentlichkeit gemeinsam mit den Medien zum Begriff "Integration" verfälscht, ist das eine gezielte, böse Manipulation gesellschaftlichen Denkens und Handelns.
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