Inklusion
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Inklusion im KindergartenVon der Integration zur Inklusion – eine neue Aufgabe für die frühpädagogische Praxis? Erstellt am 26. August 2010, zuletzt geändert am 21. Oktober 2011 Dr. Monika Wertfein & Dr. Jutta Lehmann
Inklusion – ein neues Modewort? Bedeutet Inklusion dasselbe wie Integration? Welche neuen Herausforderungen sind mit inklusiver Frühpädagogik verbunden? Dieser Artikel gibt einen Überblick zum Begriff der Inklusion und zeigt auf, welche Chancen sich für Kindertageseinrichtungen eröffnen können, die sich auf den Weg von der Integration zu Inklusion aufmachen. Warum ist das Thema Inklusion so aktuell? Die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist im März 2009 nun auch in Deutschland in Kraft getreten. Für das Arbeitsfeld Kindertageseinrichtungen relevant sind in der UN-Konvention insbesondere Artikel 7 „Kinder mit Behinderungen“ und Artikel 24 „Bildung“, der das Recht auf Bildung für alle Kinder in inklusiven Einrichtungen feststellt. Damit ist Deutschland die Verpflichtung eingegangen, ein inklusives Bildungssystem einzurichten, das allen Kindern soziale Teilhabe und Chancengleichheit ermöglicht. Was bedeutet Inklusion? Worin liegt der Unterschied zum Integrationsbegriff? Der Integrationsbegriff hat in der Pädagogik einen hohen Bekanntheitsgrad und bedeutet die „Wiederherstellung eines Ganzen“. Mittlerweile gibt es seit über 25 Jahren Erfahrungen mit der gemeinsamen Bildung und Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung in Kindertageseinrichtungen und so ist in vielen Bundesländern die integrative Bildung und Erziehung in der Frühpädagogik selbstverständlich geworden. In den letzten Jahren wird der Begriff Integration häufig auch im Zusammenhang mit der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund verwendet. In der fachlichen Diskussion ist zu beobachten, dass die Begriffe Integration und Inklusion teilweise synonym verwendet werden. Auch wenn das grundlegende Ziel von Integration und Inklusion als ähnlich anzusehen ist, so weist Inklusion jedoch deutliche konzeptionelle Unterschiede auf. Inklusion (lat. Dazugehörigkeit/ Einschluss) betrachtet die individuellen Unterschiede der Menschen als Normalität und nimmt daher keine Unterteilung in Gruppen vor. Inklusion tritt für das Recht jedes Kindes ein, unabhängig von individuellen Stärken und Schwächen gemeinsam zu leben und voneinander zu lernen. Das Verständnis von Inklusion reicht über die Integration von Kindern mit und ohne Behinderung hinaus und umfasst alle Dimensionen von Heterogenität. Der Begriff der Inklusion unterscheidet sich vom Begriff der Integration insofern, dass es bei der Integration immer noch darum geht, Unterschiede wahrzunehmen und Getrenntes wiedereinzugliedern. Inklusion will hingegen den individuellen Bedürfnissen aller Menschen Rechnung tragen. Der Index für Inklusion (2009; S. 5), eine Handreichung zur Unterstützung der inklusiven Entwicklung in Kindertageseinrichtungen, macht die Differenz zwischen dem älteren Begriff der Integration und dem neueren Begriff der Inklusion wie folgt deutlich: „Inklusion ist die konsequente Weiterführung von Integration. Während der Begriff „Integration“ nahe legt, darunter das Hereinnehmen eines Kindes in ein bestehendes System zu verstehen, ohne das System substantiell zu verändern, geht Inklusion davon aus, dass das Recht aller Kinder auf gemeinsame Bildung und Erziehung nur durch einen umfassenden Reformprozess zu realisieren ist. Schulen wie Kindertagesstätten müssen so ausgestattet werden, dass sie kein Kind aussondern. Alle – Kinder, Jugendliche, Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern, Verwaltung, Politik – tragen dazu bei, dass Inklusion gelingt.“ Der Anspruch eines inklusiven Bildungssystems stellt insbesondere für das deutsche, bisher weitgehend selektierende und ausgrenzende Bildungssystem, eine große Herausforderung dar. Der Weg von der Integration zur Inklusion erfordert einen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Perspektivenwechsel und die entsprechenden schrittweisen Veränderungsprozesse in der Haltung der Gesellschaft sowie im Fördersystem, was nur schrittweise und langfristig erfolgen kann. Mit anderen Worten: Jeder kann dazu beitragen, dass unser Bildungssystem und unser Denken inklusiver werden und dass in Zukunft niemand aufgrund seiner Herkunft, seiner Kultur, seiner Muttersprache, einer Behinderung, seines Geschlechts oder seines Alters benachteiligt wird. Ziel ist es, Zugehörigkeit sowie die gemeinsame Bildung, Erziehung und Betreuung trotz individueller Unterschiede zu ermöglichen und so faire und gleiche Chancen beim Aufwachsen für alle Kinder zu gewährleisten. Wer sich auf den Weg macht von der Integration zur Inklusion muss wissen, dass gelingende integrative Prozesse die Voraussetzung für inklusive Bildung, Erziehung und Betreuung bilden. Inklusion basiert zwar auf dem „Diversity“-Ansatz, der keine Unterteilung in Gruppen vornimmt und die individuellen Unterschiede aller Menschen grundsätzlich als Normalität ansieht. Da im deutschen Bildungssystem sonder- und heilpädagogische Ressourcen nur dann zur Verfügung stehen, wenn beim Kind ein besonderer Förderbedarf festgestellt wurde, geht jeder integrativen Maßnahme eine Etikettierung voraus, die als solche der Idee von Inklusion widerspricht. Denn nach Booth & Ainsworth (2007, S.14) beinhaltet Inklusion: „Die Barrieren für Spiel, Lernen und Partizipation für alle Kinder abbauen, nicht nur für jene mit Beeinträchtigungen oder diejenigen, die als Kinder ‚mit sonderpädagogischen Förderbedarf‘ eingestuft werden.“ Am Beispiel dieses so genannten „Etikettierungs-Ressourcen-Dilemmas“ (Albers, 2010) wird deutlich, dass der schrittweise Prozess der Inklusion immer nur in Anbetracht der jeweiligen Rahmenbedingungen realisiert werden kann und durch strukturelle Barrieren erschwert wird. Die Durchlässigkeit der Hilfeformen und der Mitarbeiter innerhalb der pädagogischen Teams erweisen sich dabei als wesentliche Entlastung und Bereicherung im Prozess von der Integration zur Inklusion (Jerg, 2010; Heintz, 2010). Zukunftsweisend sind hier neue institutionelle Formen, wie Kinder- und Familienzentren, die eine Vernetzung der Kinder-, Jugend- und Gesundheitshilfe, des Gemeinwesens und der Eingliederungs- sowie Nachbarschaftshilfe erleichtern. Inklusion – in den modernen Bildungsplänen bereits gefordert! Im Bayerischen sowie im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan sind bereits die für Inklusion wichtigen Heterogenitätsdimensionen wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Kultur und Religion umfassend berücksichtigt, ohne dass der Begriff Inklusion explizit verwendet wird. Beide Bildungspläne sehen die individuellen Unterschiede der Kinder als Chance und Bereicherung sowie die soziale und kulturelle Vielfalt der Kinder und Familien als Lernchance für das einzelne Kind. Als zentrale Prinzipien für den Umgang mit individuellen Unterschieden und soziokultureller Vielfalt beschreiben diese Bildungspläne soziale Integration, individuelle Begleitung und kulturelle Offenheit. Damit ist die Verantwortung der Bildungseinrichtungen formuliert, „sozialer Ausgrenzung angemessen zu begegnen und allen Kindern faire, gleiche und gemeinsame Lern- und Entwicklungschancen zu bieten“ (BayBEP, Kap. 2.8, S.33). Der Bildungsansatz der Ko-Konstruktion bietet hierbei einen optimalen Rahmen, eine inklusive Pädagogik und damit eine Pädagogik der Vielfalt mit Leben zu füllen und allen Kindern den Zugang zu Bildungsangeboten zu ermöglichen. In Gruppen mit Kindern mit unterschiedlichen Interessen, Stärken und Sichtweisen kann Ko-Konstruktion zu einem für alle bereichernden und gewinnbringenden Lernprozess werden. Zugleich erkennen die Kinder, dass sie zusammen mehr erreichen, als jeder allein und dass jedes Kind etwas zur Gemeinschaft beitragen kann. Auf diese Weise lernen alle Kinder frühzeitig, sich selbst und andere in ihrer Individualität zu achten und zu akzeptieren. Durch die Motivation zum gemeinsamen Spiel können die Leistungsbereitschaft sowie die Selbstwirksamkeit aller Kinder als bedeutsamer Teil der Gruppe gestärkt werden, wie das nachfolgende Beispiel verdeutlicht (Schastok, 2006): “Los, Matthias, gleich hast du`s. Ach schade, daneben! Versuch`s noch mal!” So feuert die vierjährige Ilka ihren Freund Matthias an. Sie will ihn ermutigen, den Fußball von seinem Spielbrett zu stoßen. Matthias gefällt das. Er lacht, und gleichzeitig drückt sein Gesicht große Konzentration aus. Matthias hat eine schwere Tetraspastik. Es braucht viel Kraft, um Kontrolle über seine Kopfhaltung zu bekommen. Nur für einige Sekunden gelingt es ihm. Er kann den Ball fixieren. Aber er kann keine Koordination zwischen Augen und Hand herstellen. Immer wieder fährt die rechte Hand über den Ball hinweg. Ruckartig fällt plötzlich sein Kopf nach unten, stößt an den Ball, und der Ball rollt vom Spielbrett. Ebenso ruckartig fährt sein Kopf nach oben. Matthias strahlt, und Ilka jubelt:” Bravo Matthias, du hast es geschafft! Komm, versuch´ es gleich noch einmal.” Sie legt ihm den Ball noch einmal auf das Brett, und Matthias ist tatsächlich in der Lage, seinen Kopfball zu wiederholen. Er muss ihn noch viele Male an diesem Tag vorführen, denn Ilka ist eine ehrgeizige Lehrerin und ebenso stolz auf Matthias Leistung wie er. Inklusion beginnt in den Köpfen – der Weg ist das Ziel! Wenn wir an Kinder mit Behinderungen denken, fällt es oft nicht leicht über die Behinderung hinwegzusehen und vor allem das Kind zu sehen, das auf seine Weise Kontakt zu seiner Umwelt und seinen Mitmenschen aufnimmt und neugierig erkundet (vgl. Kobelt-Neuhaus, 2010). Hier bedeutet inklusives Denken, die eigenen Maßstäbe und Sichtweisen immer wieder bewusst zurückzunehmen, in die Welt des Kindes einzutauchen und seinen Blick einzunehmen. Ein Beispiel von Alrun Schastok (2006) illustriert diesen Perspektivwechsel an einem Beispiel aus dem Kindergartenalltag: Ein etwa dreijähriger Junge mit weizenblonden Locken bemüht sich, auf den Kletterturm zu steigen. Für mich fast unerträglich langsam bewegt sich seine Hand auf die nächste Sprosse der Leiter zu, die er jedoch sicher umklammert. Noch langsamer hebt er das linke Bein auf die nächste Sprosse. Es scheint mir schlaff und kraftlos. Der kleine Junge verharrt einen Augenblick in dieser Stellung. Seine rechte Hand ergreift die nächste Sprosse. Das geht schneller. Jetzt muss das rechte Bein folgen. Aber der Junge verharrt wieder in der Bewegung. Ich kann das Zeitlupentempo nicht mehr ertragen. Ich könnte ihm helfen, sein Ziel schneller zu erreichen. Er muss doch verzweifeln bei diesem Schneckentempo! Jetzt kann ich sein Gesicht sehen. Er ist ganz ruhig und gesammelt. Er lächelt nicht, aber er scheint mir irgendwie zufrieden. Ich gehe nicht zu ihm, sondern schaue zu, wie er sich, fast nur durch die Kraft seines rechten Arms hochzieht, sodass endlich beide Füße auf der nächsten Sprosse stehen. In diesem Augenblick ruft eine Erzieherin: “Adrian, kommst du, wir wollen essen!” Adrian erwidert nichts. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Langsam, für mich immer noch quälend, beginnt er den Abstieg. Unten angekommen, dreht er sich um und läuft in die Richtung, aus der seine Erzieherin gerufen hat. Sein Lauf ist holprig und “unrund”. Er zieht das linke Bein nach. Nach wenigen Schritten geht es gar nicht mehr. Er fällt. Wieder ist mein erster Impuls: Hingehen und ihm helfen. Doch Adrian hat sich schon aufgerappelt und ist um eine Ecke verschwunden. Adrian war ein Kind mit einer Behinderung, ein Kind unter Kindern in einer so genannten Laufergruppe. Niemand, weder die Eltern noch die Erzieherinnen, hatte seine Behinderung bis zu dem Zeitpunkt thematisiert. Er bekam keine besondere Förderung. Und doch hatte Adrian etwas, das da sein muss, bevor Förderung wirksam werden kann, die Grundvoraussetzung für alles Lernen. Er besaß die Akzeptanz seiner Eltern, seiner Erzieherinnen und der Kinder seiner Gruppe. So wie er war, durfte er sein. Er wurde beachtet und respektiert. Von der Integration zur Inklusion – ein Gewinn für alle! Internationalen Studien zufolge profitieren Kinder mit und ohne Behinderung von einer gemeinsamen Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen, insbesondere in ihrer sprachlichen und sozialen Entwicklung (Hundert et al., 1998; Booth & Kelly, 2002; Stahmer & Carter, 2003; 2005). Doch woran lässt sich erkennen, dass Inklusion in der Kindertageseinrichtung gelingt? Aus den umfangreichen Forschungsarbeiten von Michael Guralnick (2009) zu sozialen Interaktionen von Kindern lässt sich ableiten, dass Inklusion dann gelingt, wenn Bildungsangebote für alle Kinder zugänglich sind und die individuellen Bedürfnisse und Interessen aller Kinder berücksichtigen. Darüber hinaus zeigt sich gelungene Inklusion vor allem darin, dass bedeutungsvolle soziale Beziehungen zwischen allen Kindern mit und ohne Behinderung möglich sind bzw. nach Bedarf unterstützt werden und alle Kinder selbst darüber bestimmen können, mit wem sie interagieren oder befreundet sein möchten (Guralnick, 2009). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kinder mit Behinderung seltener von Kindern ohne Behinderung als Spielpartner gewählt werden und zudem selbst weniger Spielkontakte initiieren (Hestenes & Caroll, 2000; Odom, 2002). Vor allem Kinder mit sprachlichen und motorischen Beeinträchtigungen sind daher bei der Gestaltung von positiven Peer-Beziehungen in besonderem Maße von der Unterstützung der Erwachsenen abhängig (Hestenes & Caroll, 2000; Harper & McCluskey, 2002; Dicarlo et al., 2004; Kreuzer & Ziebell, 2009). Pädagogische Fachkräfte können dazu beitragen, die soziale Teilhabe aller Kinder zu unterstützen und sozialer Ausgrenzung entgegenwirken. Dies kann durch eine wertschätzende Lernatmosphäre gelingen, in der das Verständnis für die individuellen Stärken und Schwächen in der Gruppe gefördert und Verschiedenartigkeit als Bereicherung der Gruppe wahrgenommen wird (vgl. Hestenes & Caroll, 2000). Es kommt darauf an, dass die Fachkraft die Fähigkeiten jedes Kindes erkennt und die Gruppenprozesse beobachtet (vgl. Jerg, 2010). Auf diese Weise kann sie erkennen, wenn Kinder ausgegrenzt werden oder Unterstützung brauchen, um soziale Kontakte zu knüpfen oder aufrecht zu erhalten. In der Rolle der „empathischen Spielpartnerin“ und „Vermittlerin“, die einer „Spieleinladung“ eines Kindes folgt, kann sie auf eher zurückhaltende Weise den Zugang zur Spielgruppe oder die Kommunikation in der Gruppe erleichtern (vgl. Jungmann & Albers, 2008; Casey, 2008). Dies erfordert viel Einfühlungsvermögen, da ein zu aktives Eingreifen in kindliches Spiel Gefahr läuft, die intrinsische Motivation der Spielenden einzuschränken und das Spiel vorzeitig zu beenden (Jungmann & Albers, 2008; Wolfberg, 2008). Inklusion – die Eltern als wichtige Partner! Kinder mit Behinderung und ihre Eltern kommen bereits mit nicht immer inklusiven Vorerfahrungen in die Kindertageseinrichtung. Je jünger die Kinder sind, desto sensibler reagieren die Eltern möglicherweise auf Vorbehalte, weil die Trauerprozesse oder traumatischen Erlebnisse, die mit der Behinderung des eigenen Kindes einhergehen können, noch nicht abgeschlossen sind oder nicht lange zurückliegen. Andererseits wünschen sich viele Eltern, etwas gegen die Behinderung ihres Kindes unternehmen zu können. Unter hohem Förderdruck setzen sie auf eine Vielzahl zeitintensiver therapeutischer Maßnahmen, in der Hoffnung, dass ihr Kind “normal” und unauffällig „gemacht“ wird (vgl. Hirchert, 2003). Auf diese Weise wird das Fachwissen und die akzeptierende Grundhaltung der Fachkraft erneut auf die Probe gestellt. Doch im Dialog mit den Eltern kann es Schritt für Schritt gelingen, sich mit ihnen gemeinsam auf den Weg zu einem inklusiven Miteinander zu begeben. Der erste Schritt hierzu ist die gegenseitige Akzeptanz und das Verständnis der Fachkräfte für die elterlichen Gefühle, d.h. „die Wut, die Verzweiflung, die Trauer von Eltern, die mit der Diagnose einer schweren Behinderung ihres Kindes nach der Geburt allein gelassen wurden mit dem Hinweis auf ein Bündel von Therapien, die unbedingt von Eltern wahrgenommen werden müssten. Nur wenn uns das gelingt, schenken sie uns Vertrauen, das Offenheit zulässt.“ (Schastok, 2006). Daher zeigt sich inklusive Pädagogik in einer engen Zusammenarbeit mit den Eltern. Sie sollten an der Umsetzung des Paradigmenwechsels von der Integration zur Inklusion von Anfang an beteiligt sein, damit sie den Prozess unterstützen können. So zeigt sich auch in Studien, dass inklusive Bildungs- und Entscheidungsprozesse besser gelingen können, wenn das pädagogische Team fortlaufend mit den Eltern im Austausch steht, diese als „Experten“ für die Bedürfnisse ihrer Kinder anerkennt und mitbeteiligt (Stahmer et al., 2003; 2005; Swick & Hooks, 2005). Durch die lebendige Zusammenarbeit und eine Vertrauensbasis mit den Eltern ist es für die pädagogischen Fachkräfte möglich, Unsicherheiten und Ängsten der Eltern zu begegnen, aber auch im täglichen Umgang vom Spezialwissen der Eltern zu profitieren (vgl. auch Schastok, 2006). Aus Sicht der Eltern werden vor allem die soziale Einbindung des Kindes (Peers) und der Familie (Freunde, Nachbarschaft) sowie fachliche Netzwerke als förderlich im Sinne der Inklusion und Zugehörigkeit wahrgenommen (Beckman et al., 1998). Was braucht das Team auf dem Weg zu Inklusion? Der Umgang mit einem hohen Maß an Heterogenität in Kindertageseinrichtungen erfordert von allen Fachkräften eine offene, reflexive Grundhaltung bezüglich der eigenen Einstellung gegenüber individuellen Unterschieden, vielseitige pädagogische Basiskompetenzen sowie eine hohe Teamfähigkeit (Albers, 2010). Inklusion bedeutet damit nicht automatisch, dass sonderpädagogische Dienste und therapeutische (Früh-) Förderangebote überflüssig werden (Resch & Maywald, 2010). Vielmehr birgt die Vision einer inklusiven Frühpädagogik die Chance künftig vermehrt in multiprofessionellen Teams zu arbeiten, um auf Ebene der Fachkräfte die bestehenden Kompetenzen zu bündeln und dieses tragfähige Netzwerk zur individuellen Bildungsunterstützung aller Kinder zu nutzen. Auf diese Weise kann den hohen Anforderungen und den ständig wachsenden Aufgabenfeldern im Feld der Kindertageseinrichtungen Rechnung getragen werden, denen pädagogische Teams heutzutage gegenüberstehen und welche die Kompetenzen einer einzelnen qualifizierten Fachkraft übersteigen würden. Studien, die sich mit den Einstellungen der Fachkräfte zu „Inklusion“ bzw. „Behinderung“ beschäftigen, machen deutlich, dass bisherige Vorerfahrungen, die Qualifikation und vor allem bestehende Grundhaltungen der Fachkräfte sowohl ihre Wahrnehmung als auch ihr pädagogisches Handeln maßgeblich beeinflussen können (Stoiber et al., 1998; Lieber et al., 1998; Mulvihill et al., 2002). Daher erfordert der Prozess von der Integration zur Inklusion nicht nur die Bereitschaft, die eigenen Kompetenzen für sich und im Team immer wieder zu reflektieren und weiter zu entwickeln. Darüber hinaus braucht jede Fachkraft Gelegenheiten und zeitliche Ressourcen, um durch Hospitationen, den Austausch mit anderen Einrichtungen sowie die Zusammenarbeit mit externen Fachdiensten und der Fachberatung ihre Kompetenzen zu erweitern und neue Reflexionen anzustoßen (Guralnick, 2009; Heimlich & Behr, 2009). Vor Ort in den Kindertageseinrichtungen ist die Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte durch unterschiedliche Formen von Fachberatung, Fortbildung und durch externe Expertinnen und Experten (z.B. den Heilpädagogischen Fachdiensten der Frühförderung) dringend erforderlich und zur Verfügung zu stellen, um die vielfältigen Anforderungen, die eine inklusive Pädagogik an die Einrichtungen stellt, schultern und eine fortlaufende Qualitätsentwicklung und -sicherung der fachlichen Arbeit gewährleisten zu können. Denn: Eine Pädagogik der Vielfalt kann nur im Verbund gelingen. Fazit Inklusion ist kein neues Modewort und ersetzt auch nicht den Begriff der Integration. Inklusion ist die Fortführung der Integration und setzt an integrativen Denk-, Handlungs- und Organisationsstrukturen an. Inklusion ist kein Zielzustand, sondern ein fortlaufender und offener Prozess, an welchem die Familie, das pädagogische Team und die Spezialisten der externen Fachdienste gemeinsam beteiligt sind. Ziel dieses Prozesses zur Inklusion ist es, Barrieren für die gemeinsame Bildung, Erziehung und Betreuung aller Kinder zu erkennen und abzubauen. Nach dem „Index für Inklusion“ (Booth, Ainscow & Kingston, 2007), lässt sich der Prozess zur Inklusion in folgende Dimensionen einteilen: 1. Entfaltung inklusiver Kulturen Hier geht es um die Gestaltung einer sicheren, wertschätzenden, kooperativen und anregenden Gemeinschaft, in der inklusive Wertvorstellungen und Prinzipien verankert und handlungsleitend sind. Solche Prinzipien sind beispielsweise Gleichheit, soziale Teilhabe, Achtung von Heterogenität, Vertrauen, Mitgefühl und Nachhaltigkeit (Booth, 2009). 2. Etablieren inklusiver Leitlinien Die Leitlinien für Inklusion beinhalten Veränderungsstrategien, die die Fähigkeit der Einrichtung erhöhen, auf die Vielfalt der Kinder einzugehen. Ziel ist es, eine für alle zugängliche Einrichtung zu entwickeln und Barrieren für Spiel, Lernen und Partizipation zu verringern. Dabei gilt es auch aktiv gegen Ausgrenzungsprozesse und bestehende Vorurteile vorzugehen. 3. Entwicklung inklusiver Praxis Inklusive Praxis ist erkennbar an Aktivitäten, die inklusive Kulturen und Leitlinien widerspiegeln. Dies sind einerseits Bildungsangebote, die alle Kinder bei der Planung berücksichtigen und anregen, im Dialog mit der Gruppe mitzuwirken. Andererseits zeigt sich inklusive Praxis darin, dass Ressourcen innerhalb und außerhalb der Einrichtung mobilisiert werden, um z.B. die räumliche und materielle Ausstattung an die Bedürfnisse der Gruppe anzupassen, bestehendes Fachwissen im Team zu nutzen und soziale Netzwerke in der Nachbarschaft zu erschließen. Die Ausführungen zeigen, dass Inklusion Professionalität auf allen Ebenen braucht und erhöhte Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte, die Fachberatung, externe Fachdienste, die Trägervertreter, aber auch an die Kinder und Eltern stellt. Tageseinrichtungen stehen zunehmend vor der Aufgabe, die Forderungen nach einem inklusiven Bildungssystem in die pädagogische Praxis umzusetzen, indem sie alle Kinder und Eltern willkommen heißen. Inklusiv zu denken und zu arbeiten bedeutet, dass nicht von den Kindern und Eltern erwartet wird, dass sie sich anpassen, sondern die Einrichtungen sich nach ihren Möglichkeiten für die individuellen Bedürfnisse der Kinder und Eltern öffnen (vgl. Booth, Ainscow & Kingston, 2009). Dies kann jedoch nur in dem Maße umgesetzt werden, in welchem den jeweiligen Bedarfen entsprechende v.a. personelle und zeitliche Rahmenbedingungen flexibel und zeitnah zur Verfügung gestellt werden. Bereits der 10. Kinder- und Jugendbericht (1998) der Bundesregierung und wiederholt im 11. und 13. Kinder- und Jugendbericht (2002 und 2009) wurden Veränderungen der Zuordnungen in den Leistungssystemen als Voraussetzung für eine inklusive Pädagogik gefordert. So stehen wir heute erst am Beginn des Weges von der Integration zur Inklusion – ein Veränderungsprozess, der auf allen Ebenen der Gesellschaft begonnen und kontinuierlich verfolgt werden muss, um das Ziel eines inklusiven Bildungssystems zu erreichen. Auf diesem Weg gilt es in den nächsten Jahren einschlägige Erfahrungen mit inklusiver Arbeit zu sammeln. Dabei wird es hilfreich sein, von den Erfahrungen gelungener integrativer Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen zu lernen.
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