Nutzung innerer Bilder

Fünfter Zugang:

Neue Lehr-/Lernkultur durch die Nutzung innerer Bilder

 

Die Idee der inklusiven Schule realisiert sich nur, wenn es uns gelingt, die Vielfalt individueller Zugänge bei der Entwicklung von Lernmotivation und dem Wissenserwerb zu berücksichtigen.

 

Der Hirnforscher Ernst Pöppel

unterscheidet in seinem Buch „Der Rahmen“ drei Formen des Wissens:

 

1. Begriffliches oder explizites Wissen (Nennen, Sagen)

2. Implizites oder Handlungswissen (Schaffen, Tun)

3. Bildliches oder Anschauungswissen (Sehen, Erkennen) = „pictorial knowledge“

 

Der springende Punkt ist nun, dass der erste Typ des Wissens (begriffliches bzw. explizites Wissen), auf den wir uns fast ausschließlich in der Schule konzentrieren „Ich-fern“ ist und nur eine geringe Einflussmöglichkeit auf unser Handeln besitzt. Am Eindrücklichsten zeigt sich dieser Umstand, an unserem Umweltverhalten: Ein Mehr an Information, etwa über die schädlichen Auswirkungen des Individualverkehrs, bewirkt keineswegs ein verändertes Verhalten, sondern führt ganz im Gegenteil dazu, dass wir lernen, Informationen, die unsere Wünschen entgegenstehen, zu ignorieren. Mehr Wissen allein genügt offenbar nicht.

Ganz anders verhält es sich beim zweiten Typ: Implizites Wissen, das wir z.B. beim Führen eines Autos, oder beim Skifahren erwerben, ist direkt mit unserem Körper verbunden und wirkt in der Regel direkt verhaltenssteuernd.

Der dritte Typ, das Bildwissen, hat Pöppel zufolge, den stärksten Einfluss auf unser Handeln, gerade weil seine Wirkung uns meist nicht bewusst ist. Es setzt sich aus ca. 800 inneren Bildern zusammen, die sich aufgrund von emotional tief berührenden Situationen, im Verlaufe unserer Biographie tief in unser Gedächtnis eingegraben haben und zu einem persönlich geprägten Wahrnehmungsfilter beitragen, der unser Wahrnehmen und Handeln steuert.

Bestimmte Situationen und/oder Anforderungen lösen bei uns Lust- oder Unlustempfindungen aus und sorgen für Anziehung oder Abstoßung.

Der springende Punkt ist nun, dass man Verhalten nur dann wirksam beeinflussen kann, wenn es gelingt, entweder an die vorhandenen inneren Bilder der Person anzuknüpfen oder diese offenzulegen und kommunizierbar zu machen. So hat z.B. Terhart (2007) in einer Befragung hunderter Lehrer/innen nachgewiesen, das Lehrerfortbildung nur dann zu Effekten führt, wenn sie an die „belief systems“ der Fortzubildenden andockt.

Die Entwicklung einer inklusiven Lehr-/Lernkultur setzt also voraus, dass wir uns öffnen für die inneren Bilder unser Schüler/innen, für ihre „belief systems“ und dass wir „persönlich bedeutsames Lernen“ (so der Terminus, den wir in der Gestaltpädagogik verwenden) ermöglichen.

Begabungsförderung in diesem Sinne zielt darauf ab, den Schüler/innen zu ermöglichen, herauszufinden, was sie wirklich interessiert, was ihre Energie und Leidenschaft weckt.

Die Untersuchung von Personen, die zu herausragenden Leistungen in der Lage waren, zeigt, dass sie nicht nur schon früh erkannt hatten, worin ihre entscheidende Begabung liegt, sondern dass sie in einer Umgebung (einem „Soziotop“) aufwuchsen, die diese Begabung erkannt und gefördert hat. Der große amerikanische Pädagoge und Philosoph, John Dewey, formulierte schon im vorletzten Jahrhundert eine Schlüsselformel wirksamer Begabungsförderung:

„Herauszufinden, wozu man sich eignet und eine Gelegenheit zu finden, dies zu tun, ist der Schlüssel zum glücklich Sein“ – und nicht nur dies, sondern auch zu erfolgreicher Bildung.

Die inneren Bilder enthalten etwas, was der MIT-Führungsforscher Claus Otto Scharmer, als „unsere höchste Zukunftsmöglichkeit“ bezeichnet. In diesem Sinne geht die Freisetzung von pictorial knowledge über schulisches Wissen hinaus, bietet es doch einen Zugang zu „selbsttranszendierendem Wissen“.